Fast 60 Jahre Musik zur Freude der Menschen und zu Gottes Lob

Pfarrer Hans Gier war noch nicht lange auf seiner ersten Pfarrstelle in Affoldern, als er die Gründung eines Posaunenchores vorbereitete. Er hatte, selbst begeisterter Bläser, schon in einigen Chören mitgewirkt und lud im Herbst 1966 musikinteressierte Jugendliche und ihre Eltern aus dem Kirchspiel zu einem Informationsgespräch ins Pfarrhaus ein.

Einige alte und teils auch verbeulte Instrumente standen zur Verfügung, so dass um die Jahreswende 1966/67 die ersten Proben begannen. Die überwiegend jungen Bläser – aber auch einige erwachsene Anfänger waren darunter – waren mit Eifer bei der Sache. Im Oktober 1967 wurde der Chor, der bis heute Teil der Evangelischen Kirchengemeinde ist, zum Verein und wählte aus dem Kreis der damals 16 Mitglieder einen Vorstand. Außer der Probenarbeit gestalteten die Bläser Gottesdienste, Konzerte und Feste mit und brachten älteren Mitbürgern an runden Geburtstagen ein Ständchen.

Erste Auftritte und Reisen

Beim Affolderner Schul- und Jugendfest 1968 wurden neben Chorälen erstmals auch einige Volkslieder und Märsche gespielt und eine Trommel eingesetzt. Neben dem Bläseralltag zu Hause unternahm der junge Posaunenchor Fahrten und führte Bläserfreizeiten im Odenwald, im Schwarzwald oder auf dem Zeltplatz am Edersee durch. Diese Freizeiten dienten der Gemeinschaft, aber auch dem intensiven Proben, so dass der Chor ein beachtliches Niveau erreichte. Höhepunkte waren die Reisen 1969 nach Dänemark, 1971 nach Affoltern (bei Zürich) in der Schweiz und 1973 nach Frankreich. In der Weltstadt Paris durften die Edertaler Bläser als erster evangelischer Posaunenchor in der Kathedrale von Notre Dame spielen.

Vorbildliche Jugendarbeit

Nachdem auch einige Bläser aus Giflitz jetzt regelmäßig zu den Proben nach Affoldern kamen, wurde Anfang der 70er Jahre der Konfirmandensaal im Affolderner Pfarrhaus für die manchmal an die 40 Musiker zu klein. Wer heute das Wohnzimmer der Pfarrersfamilie betritt, kann sich ohnehin kaum vorstellen, dass hier so viele Blechbläser samt ihren empfindlichen Instrumenten hineingepasst und dabei sogar noch geprobt haben sollen.
Neben dem Posaunenchor rief Pfarrer Gier auch einen Jugendkreis ins Leben, veranstaltete Schul- und Gemeindefeste, Filmabende und Reisen. Beides entwickelte sich – es gab zu der Zeit ja auch kaum andere Angebote – prächtig.

Affoldern bekam 1973 ein Jugendhaus

Wegen der vorbildlichen Posaunen- und Jugendarbeit im Kirchspiel bewilligten Landeskirche, Posaunenwerk und die eigene Kirchengemeinde Zuschüsse zum Bau eines „Jugendhauses“, das heute Gemeindehaus genannt wird.
Mit beträchtlicher Eigenleistung, vor allem von Hans Gier selbst, der jungen Bläser und der Kirchenvorsteher, wurde im Sommer 1973 das neue Gebäude zwischen Kirche und Pfarrhaus errichtet, das bis heute für die Bläserinnen und Bläser des Posaunenchores eine Art zweite Heimat ist.

Generationenwechsel im Jahr 1976

Im Sommer 1976 verließ Hans Gier Affoldern und übernahm eine neue Pfarrstelle in dem Borkener Stadtteil Großenenglis. Ganz in der Nähe, in Gombeth, gründete er wieder einen Posaunenchor, den dann später sein jüngster Sohn Jörg weiterführte.

Nach dem Wegzug der Familie Gier übernahm im Juni 1976 der 20jährige gebürtige Mehlener Reckhard Pfeil, der damals bereits seit drei Jahren stellvertretender Chorleiter war und den Nachwuchs ausbildete, als einer der Bläser der ersten Stunde „für zunächst ein halbes Jahr“ die Leitung des auf 14 Mitglieder geschrumpften Posaunenchores. Nach einer beschwerlichen Phase der Konsolidierung begann er, in einem Neuanfang die selbst gesteckten Ziele „Sicherung des musikalischen Niveaus“, „intensive Nachwuchsarbeit“ und „Erarbeitung modernerer Literatur“ umzusetzen. Pfeil blieb bis Januar 2018 mit großem Engagement und viel Herzblut Chorleiter und übergab diese Aufgabe auf eigenen Wunsch kürzlich an seinen bisherigen Stellvertreter Michael Heinze. Während der Coroanapandemie vertrat er dauerhaft den aus beruflichen Gründen verhinderten M. Heinze.
Seit Sommer 2021 ist Reckhard Pfeil wieder Chorleiter, um den Fortbestand des Chores zu sichern.

Zukunftssicherung durch Nachwuchsarbeit

Kontinuierlich wurden in den seither vergangenen 45 Jahren Gruppen von Nachwuchsbläsern gewonnen und ausgebildet, weil der Mitgliederbestand durch private und familiäre Umstände oder berufliche Neuorientierung nach der Ausbildung immer wieder schwankt. In Abständen von etwa fünf bis sechs Jahren, 1977, 1983, 1988, 1994, 2000, 2007, 2010 und seit 2013 verjüngte sich der Posaunenchor immer wieder systematisch. So kann der Chor noch immer auf ein vergleichsweise noch recht niedriges Durchschnittsalter verweisen.

Dabei hat sich das in Affoldern seit langem praktizierte Konzept „Nachwuchsausbildung durch die Chorleiter PLUS Betreuung durch ältere BläserInnen als Paten“ gut bewährt. Im Frühjahr 2013 hatte wieder ein neuer Anfängerkurs begonnen, bei dem 8 Jungen und Mädchen im Alter zwischen 7 und 13 Jahren bzw. auchzwei Erwachsene Noten und das Spielen auf einem Blechblasinstrument erlernten. Sie sind inzwischen in den großen Chor integriert.

Organisatorisches

Der Posaunenchor, der sich zu Beginn komfortabel aus Zuschüssen des Posaunenwerkes, der Landeskirche und der eigenen Kirchengemeinden finanzieren konnte, muss heute angesichts allgemein knapper Kassen wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen. Er lebt von Spenden bei Ständchen und von „Gagen“ bei Konzerten und anderen Auftritten.
Die Mitglieder zahlen nur einen geringen Jahresbeitrag zur Deckung von Fahrtkosten. Mit dem Geld der Chorkasse werden Instrumente, Noten und Zubehör beschafft und Reparaturen bezahlt.
So verfügt der Verein über gut zehn choreigene Instrumente, die er jeweils den „Anfängern“ kostenlos zur Verfügung stellt. Er erwartet natürlich, dass Eltern oder Großeltern nach etwa zwei, drei Jahren ein eigenes Instrument anschaffen. Im Jahre 1978 konnte sich der Chor sein erstes eigenes Schlagzeug kaufen, später folgten hochwertige Kesselpauken und andere Rhythmusinstrumente und schließlich ein neues Schlagzeug, um möglichst viele Facetten alter und neuer Musik ausschöpfen zu können.

Der Posaunenchor Edertal ist kein e.V., er hat übrigens keinen Vorstand im Sinne des Vereinsrechtes, weil es ganz zu Beginn seiner Geschichte mehrfach Probleme damit gab. Deshalb sieht die Satzung vor, dass der Chorleiter und seine Stellvertreter zwar durch Kassierer, Schriftführer und Notenwarte unterstützt werden. Hinzu kommt eine Beratergruppe von „Vier Weisen“, Die wichtigen Entscheidungen treffen jedoch stets alle Mitglieder gemeinsam in Abstimmungen während der Proben. Schließlich werden auch alle durch die Entscheidungen gebunden und zu Teilnahme und Mitarbeit an Proben und Einsätzen verpflichtet.

Mut zu Neuem – Ungewöhnliches Repertoire

In einem weiteren wichtigen Punkt unterscheidet sich der Edertaler Chor von vielen den meisten anderen Posaunenchören: Er spielt neben der gängigen Bläserliteratur mit Chorälen, klassischer Bläsermusik, anspruchsvollen Auszügen aus großen Oratorien der alten Meister, Volksliedern, Gospels und neuen Gemeindeliedern auch gerne und gut Stücke aus den modernen Musikgenres.
Rock und Pop, BigBand-, Swing, Filmmusik und Musicalmelodien, das alles in Brass-, Classic-Rock oder im Stil symphonischer Bläsermusik arrangiert, stehen auf den Konzertprogrammen ganz oben und sorgen für Begeisterung bei den Zuhörern und für Motivation bei den jungen und älteren Musikern.
Noch zu Pfarrer Giers Zeiten hatte Reckhard Pfeil dem Chor eigene Kompositionen und Bearbeitungen vorgelegt und gegen Ende der Schulzeit im Einzelunterricht und auf Lehrgängen seine Kenntnisse in Harmonielehre, Komposition, Arrangement und Chorleitung weiter vertieft.

Junge Musik für jung gebliebene Leute

Bis heute bearbeitet und arrangiert er wie auch sein Nachfolger und Vorgänger Michael Heinze (2018-2021) viele Stücke unterschiedlichster Genres mit Hilfe des Computers „maßgeschneidert“ für seinen Chor. Deshalb verfügt der Posaunenchor Edertal mittlerweile über ein außergewöhnlich breites und vielfältiges Repertoire, auch mit einer ständig erweiterten Fülle top-aktueller Musikstücke.

Diese junge und zeitgemäße Musik verschaffte dem Chor großes Ansehen und Interesse auch bei jüngeren Zuhörern und hilft, sein Publikum bei Konzerten und anderen Veranstaltungen gut zu unterhalten und immer wieder zu überraschen. Inzwischen kommt zu den Konzerten – die 2020 und 2021 wegen der Pandemie ausfallen mussten – jeweils eine eigene große Fangemeinde auch von weit her. Neben dem musikalischen Erlebnis kommen dabei oft auch moderne Technik, Multimediaprojektionen, Feuerwerk und andere Effekte zum Einsatz.

Der Posaunenchor Edertal hat damit wohl trotz der Fülle konkurrierender Unterhaltungs- und Freizeitangebote für junge Menschen und eines unvermeidbaren Generationenwechsels seinen ganz eigenen Weg in die Zukunft gefunden und – glücklicherweise – bislang keine allzu gravierenden Nachwuchssorgen.

Proben, Konzerte und freie Zeit

Die Mitglieder des Posaunenchores proben wöchentlich im Gemeindehaus und spielen bei Gottesdiensten, Geburtstagen, Tagungen, Konzerten und anderen Veranstaltungen. Zweimal im Jahr, am Abend vor Christi Himmelfahrt (Frühlingskonzert) und am 4. Adventssonntag (Weihnachtskonzert), laden sie gemeinsam mit Freunden zu großen eigenen Konzertabenden ein. Besonders beliebt ist auch das traditionelle Christkindwiegen am Heiligen Abend an der Affolderner Kirche.
Damit der gute Ton im Umgang miteinander stimmt, unternehmen die Bläserinnen und Bläser auch in ihrer Freizeit einiges miteinander. Ausflüge, Bläserfreizeiten, Wanderungen, Grillfeste oder gemeinsame Konzertbesuche helfen, das Zusammensein in der Gruppe kennen- und schätzen zu lernen und sich mit allen Rechten und Pflichten in die Gemeinschaft einzufügen. Damit leistet der Posaunenchor auch einen wichtigen Beitrag zur Jugendarbeit im Kirchspiel.

Bläser renovierten 1999 und 2019 das Gemeindehaus in Eigenleistung

Ende 1999 haben die Bläser ihre Instrumente beiseite gelegt und stattdessen mit Säge, Akku-Schrauber, Pinsel und Hammer am Gemeindehaus selbst Hand angelegt. Schon seit Jahren froren Kinderspielkreis, Konfirmanden und Bläser im Winter wegen der mangelhaften Wärmeisolierung des Daches. Der Erlös des Frühlingskonzertes 1999 und Zuschüsse von Kirchenvorstand und des Kirchenkreis ermöglichten eine umfassende Sanierung und Renovierung des über 25 Jahre alten Gemeindehauses. Die umfangreichen Arbeiten, von der Dachisolierung und Erneuerung der Holzdecke über die Elektrik und den kompletten Anstrich, haben die Mitglieder des Posaunenchores in Eigenleistung erbracht.

Ein weiterer „Kraftakt“ im wahrsten Sinne war die Anschaffung einer weiteren 4ventiligen Tuba im Frühjahr 2002. Nur mit Konzerterlösen, zahlreichen Ständchenspenden und Zuschüssen verschiedener öffentlicher Träger war diese aufwändige Anschaffung, die dem Gesamtklang des Chores hörbar zugute gekommen ist, möglich. Um Ostern 2008 war dann – nach über 30 Jahren Nutzung – die Anschaffung eines neuen Schlagzeuges nötig. Und inzwischen haben wir, dank des Engagements eines ambitionierten Bläsers, sogar die fünfte Tuba im Chor.

Im Frühjahr 2022 zählte unser Posaunenchor 32 aktive Mitglieder aus den Edertaler Ortsteilen Affoldern, Anraff, Mehlen, Hemfurth, Giflitz und Bergheim sowie aus den Nachbarstädten Bad Wildungen und Waldeck. 

Eine Reihe treuer Bläser kommen bis heute trotz großer Entfernungen zwischen Wohnort/Arbeitsstelle oder Studienort und ihrer Edertaler Heimat so oft es geht zu Proben, Einsätzen und den Konzerten und natürlich zum alljährlichen Christkindwiegen.

Jubiläum im Jahr 2016: 50 Jahre Posaunenchor Edertal

Der Edertaler Posaunenchor wurde im Spätherbst 1966 gegründet und konnte darum im Jahr 2016 sein 50jähriges Bestehen feiern. Auftakt zu den Jubiläumsveranstaltungen war ein Festgottesdienst am Sonntag, 28. Februar in der Affolderner Kirche, den der „große“ Posaunenchor, die acht Nachwuchsbläser, die Organistin Annette Besch und Pfarrer Klemens Blum gemeinsam gestalteten.
Zahlreiche ehemalige Chormitglieder und Weggefährten, allen voran die Familie des Chorgründers Hans Gier, Vertreter der Kirchengemeinden, der Gemeinde Edertal, der Posaunenchöre, der örtlichen Vereine und der Ortsbeiräte waren der Einladung gefolgt. Auch Dekanin Petra Hegmann aus Frankenberg und der frühere Pfarrer Bernhard Dietrich mit Frau Ulrike aus Marburg waren gekommen, ebenso Besucher und Gemeindemitglieder aus Edertal und der Region. Sie alle lauschten der Predigt, dem ebenso abwechslungsreichen wie anspruchsvollen Programm und sangen bei den Chorälen kräftig mit.
Viel Lob gab es für den „eindrucksvollen Klangkörper“, den jung gebliebenen Chor und für die ansprechende Mischung aus klassischer und moderner Bläserliteratur.
Nach dem Gottesdienst traf man sich nebenan im Gemeindehaus in großer und doch gemütlicher Runde, wo Chorleiter Reckhard Pfeil die Gäste zu einer opulenten Kaffeetafel begrüßte. Bei einer Bilderschau auf Großbildleinwand mit vielen sehenswerten Fotos aus 50 Jahren Posaunenchor Edertal wurde noch lange über alte und aktuelle Zeiten geplaudert.
Nach der Osterfreizeit und Maiwanderung folgten im Mai 2016 das Jubiläums-Frühlingskonzert, vor vollem Haus mit einem bunt gemixten „Best-of“-Programm sowie am vierten Advent das Weihnachtskonzert in der bis auf den letzten Platz besetzten Affolderner Kirche, bevor das traditionelle Christkindwiegen an Heiligabend die Jubiläumsreihe beschloss.

Wechsel in der Chorleitung

Im Mai 2018 übergab der langjährige Chorleiter Reckhard Pfeil (1976-2018) im Rahmen des Frühlingskonzertes auf eigenen Wunsch dieses Amt an seinen bisherigen Stellvertreter Michael Heinze.
Im Juli 2021 übernahm Reckhard Pfeil erneut das Amt des Chorleiters, nachdem Michael Heinze diese Aufgabe berufs- und pandemiebedingt schon längere Zeit nicht mehr wahrnehmen konnte.

Ausblick in die Zukunft

Der Posaunenchor Edertal versteht sich gestern wie heute als wesentlicher Teil der kirchlichen Gemeinde- und Jugendarbeit und des kulturellen Lebens in der Region. Er will in unserer Zeit des schnellen Wertewandels durch alte und junge Musik Gottes Wort verkündigen. Er möchte den Menschen Freude bringen und über Generationsgrenzen hinweg aktiv Gemeinschaft leben. Das ist ein recht hoher Anspruch, das soll und darf aber auch den Chormitgliedern Spaß machen.

Die Bläserinnen und Bläser sind stolz darauf, dass der Chor auch nach langem, coronabedingtem „Stillstand“ nun wieder überaus aktiv ist und mit neuem Elan und Begeisterung musiziert.

Dabei mit Neugier, Engagement, Spielfreude, Ideenreichtum und Optimismus gern auch abseits traditioneller und klassischer Literatur ungewöhnliche Wege und Pfade zu gehen, verstehen die Chormitglieder bis heute als ihren Auftrag:

Singet und spielet dem Herrn ein neues Lied!

(Psalm 98)